Der Kunstgriff: Cathy Marston choreografierte Ian McEwans "Atonement"

Hans Pfleiderer • 26. Mai 2024

Essay - bilingual

„Wir wissen alle, dass Kunst nicht Wahrheit ist. Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, wenigstens die Wahrheit, die wir als Menschen begreifen können.“ Pablo Picasso

Die Faszination des Balletts und die innovative Kraft von Cathy Marston als britische Choreografin kommen besonders deutlich zum Ausdruck, wenn man ihr jüngstes Werk, eine Adaption von Ian McEwans Roman „Atonement“ (deutsch: „Abbitte“) aus dem Jahre 2001, betrachtet. An das gleichnamige, vielfach preisgekrönte Filmdrama von Regisseur Joe Wright aus dem Jahre 2007 sei hier auch verwiesen, besonders weil es um gewisse künstlerische Freiheiten geht, auf die ich später noch näher eingehen werde. Marston, die für ihre erzählerisch starken und emotional fesselnden Ballettproduktionen bekannt ist, brachte diese Hommage an das literarische Meisterwerk auf die Bühne des Zürcher Balletts, das sie seit Beginn der Spielzeit 2023/24 leitet.


Cathy Marston, 1975 in Newcastle upon Tyne, England, geboren, hat ihre Karriere als Tänzerin beim Zürcher, Luzerner und Berner Ballett begonnen, bevor sie sich mehr auf das Choreografieren konzentrierte. Ihr einzigartiger Stil verbindet Elemente des klassischen Balletts, wobei Spitzenschuhe nicht fehlen dürfen, mit zeitgenössischen Tanztechniken, um komplexe Geschichten auf der Bühne zum Leben zu erwecken. Sie legt großen Wert auf narrative Klarheit und emotionale Tiefe, wobei sie Gestik und Mimik intensiv einsetzt, um die innere Welt der Charaktere darzustellen. Ihre Choreografien kombinieren die Präzision des klassischen Balletts mit der Expressivität des modernen Tanzes und sind oft eng mit der Musik verwoben, um eine tiefere emotionale Wirkung zu erzielen. Marston nutzt den Bühnenraum und das Bühnenbild kreativ und ermutigt ihre Tänzer zur Improvisation und Bewegungsforschung, die auch mal Möbel oder verschiedenste Requisiten mit einbeziehen, um individuelle, fließende Ausdrucksformen zu finden. Ihre Werke sind häufig von literarischen Werken, Biografien oder historischen Ereignissen inspiriert und streben nach physischer und emotionaler Authentizität, was ihre Choreografien sowohl narrativ als auch bewegungstechnisch komplex und tief bewegend macht. Einige davon sind „Jane Eyre“, „The Cellist“ und „Victoria“.


Bei einer öffentlichen Probe im Übungssaal und einer Kostprobe dieses neuen Projekts auf der Hauptbühne konnte ich am 16. September 2023 beim Eröffnungsfest zur Saisoneröffnung des Ballet Zürich einen ersten Eindruck von Marstons Arbeit gewinnen. Die Probe zeigte deutlich ihre Fähigkeit, mittels expressiver Gesten die psychologischen und emotionalen Aspekte der Charaktere durch Tanz auszudrücken. Diese Fähigkeit wurde auch von Andreas Homoki, dem Operndirektor, bei der Premierenfeier am 28. April 2024 hervorgehoben, als er sagte: „Cathy Marston verwendete einen Kunstgriff“, um die vielschichtige Narration des Romans in ihre Choreografie einzubinden. Die Reaktionen des Publikums, so wie ich sie oben auf dem Balkon mitbekommen hatte, waren gemischt, was teilweise auf die heterogene, fragmentarische Natur des Ausgangsmaterials und seiner Umsetzung zurückzuführen war. So fragte ich mich, ob es ohne Programmheft, vorherige Lektüre oder das Schauen des Kinofilms ausreichend sei, das Stück zu verstehen. Die erste Szene hatte etwas verspieltes, idyllisches und naives. Eine der Tänzerinnen, die ich sofort mit Briony assoziierte, durchschritt demonstrativ wie ein Kind den Bühnenraum. Geflüsterte Kommentare wie „Das ist eine Groteske!“ und „Verstehst du etwas?“ spiegelten die anfänglichen Schwierigkeiten wider, die einige Zuschauer hatten, die Geschichte zu erfassen. Behandelt das Buch doch ernsthaft und ohne jede Farce die Themen von Unschuld, Schuld, Macht und Vergebung, lies sich Marston leider dazu hinreißen, eine Reihe der typischen Klischees und Stereotypen von übertriebenen Gesten, die sowohl im Theater als auch in der Oper verwendet werden, zu verwenden.

Vor dem Schreiben meines Essays las ich den Roman aufmerksam durch, schon allein deswegen, weil ich den Meister persönlich bei der Premierenfeier auf der Hauptbühne traf und mit ihm locker über Gott und die Welt sprach. Ian McEwans Roman ist strukturell sehr durchdacht. Der Autor und sein Werk „Atonement” können als Vertreter der Postmoderne betrachtet werden, da sie meta-fiktionale Elemente, Intertextualität, komplexe Erzählstrukturen, Subjektivität und die Vermischung von Realität und Fiktion aufweisen. Der erste Teil des Buches, der in der Mitte der 1930er Jahren spielt, reflektiert die geordnete, routinierte Welt des englischen Landhauses und der Protagonisten an einem heißen Sommertag vor dem Einbruch des Chaos. Briony Tallis, eine der Hauptfiguren, schreibt diese Teile der Geschichte aus ihrer Perspektive und versucht, wie man später versteht, retrospektiv die Ereignisse detailliert zu rekonstruieren. Die nummerierte Kapitelstruktur kann als Versuch Brionys interpretiert werden, Ordnung und Klarheit in ihre Erinnerung und die Darstellung der Ereignisse zu bringen. Diese Struktur wird in den späteren Teilen, die während des Zweiten Weltkriegs und in den Reflexionen der erwachsenen Briony spielen, aufgeweicht, was die unsichere und turbulente Natur dieser Zeiten widerspiegelt. Der zweite Teil aus den Augen von Robbie Turner, der während den Anfängen des Zweiten Weltkriegs in Frankreich spielt, wechselt zu einem intensiveren, unmittelbaren, quasi dokumentarischen Stil. Die Struktur bricht durch die fehlende Nummerierung mit der vorherigen Ordnung und unterstreicht den Bruch in den Leben der Charaktere. Im dritten Teil des Buches, aus der Sicht Brionys als erwachsene Schriftstellerin, wird die Struktur noch freier, was ihre reifere, aber auch neurotische und weniger geordnete Sichtweise widerspiegelt. Diese strukturellen Entscheidungen von McEwan verstärken die thematische Komplexität und emotionalen Aspekte der Geschichte und kulminieren in einem Happy End der Liebenden. Wäre da nicht die berühmt-berüchtigte Coda, ein etwa 20-seitiger Epilog mit einem Geständnis und dem abscheulichen Vermächtnis unserer Heldin, unserer kaltblütigen Erfinderin, die es immer noch vorzieht, ihr Geheimnis der Diffamierung vor den Überlebenden der betroffenen Familien zu wahren und mit ins Grab zu nehmen. Robbie und Cecilia, wie zu erahnen war, sind schon lange tot. Und Brionys Wunsch, die Geschehnisse und die Akteure post mortem für alle Zeit auszulöschen, mag ihr auch gelingen. Denn sie wird dement. 


„Atonement“, was genauso gut „Indictment“ hätte heißen können, ist weder eindeutig ein psychologischer Diskurs noch eine reine Kriminalgeschichte, sondern ein vielschichtiges Werk, das Elemente beider Genres integriert. Der psychologische Aspekt des Romans zeigt sich in den tiefen Schuld- und Reuegefühlen der Protagonistin Briony Tallis, während die kriminellen Elemente durch die falsche Anschuldigung und die mangelnde Untersuchung der Wahrheit zum Ausdruck kommen. Zu den zentralen psychologischen Aspekten gehören der Konflikt, dass Brionys falsche Anschuldigung gegen Robbie Turner zu seiner Verurteilung als Vergewaltiger und der Zerstörung seines Lebensglücks mit ihrer Schwester Cecilia führt. Dies führt zu lebenslangen Schuldgefühlen und dem Wunsch nach Abbitte. Der Roman untersucht, wie diese Schuld ihr Leben und das Leben anderer beeinflusst. Brionys kindliche Missverständnisse und ihre spätere Reflexion darüber bleiben das zentrale Thema, das die subjektive Natur der Wahrnehmung und Erinnerung oder Interpretation im Gegensatz zur Realität untersuchen. Die Charakterentwicklung, insbesondere Brionys Übergang vom Kind zur erwachsenen Schriftstellerin, ist abrupt und von brutaler Selbstüberschätzung. Der Roman erforscht, wie ihre Identität und ihr Selbstverständnis durch ihre Taten und ihre Versuche der Wiedergutmachung geformt werden. Die kriminellen Elemente sind ebenso präsent. Die falsche Beschuldigung von Robbie Turner wegen eines Verbrechens, das er nicht begangen hat, und das willentliche Schweigen der Mitwisser sind die zentralen kriminellen Taten des Romans und der Antrieb für die gesamte Handlung. Dann ist da noch ein Brief, ein Indiz auf eine Literaturform des 19. Jahrhunderts. Wie in einer Kriminalgeschichte gibt es eine Untersuchung der Wahrheit hinter dem Verbrechen. Der Roman deckt nach und nach die Missverständnisse und Fehlinterpretationen auf, die zur falschen Beschuldigung geführt haben. Die Themen Gerechtigkeit und Strafe sind ebenfalls präsent. Die Frage, ob und wie Briony für ihre Taten büßen kann und ob Robbie und Cecilia Gerechtigkeit durch Abbitte erfahren, zieht sich durch die gesamte Geschichte, löst sich aber mit dem Verstand der vereinsamten Hauptfigur auf.


Marston übernahm im ersten Akt das Narrativ der Romanvorlage in abgespeckter Form und beschränkte sich auf die dominante Perspektive der heranwachsenden 13-jährigen Briony Tallis, die sukzessive totale Kontrolle und eine pathologische Boshaftigkeit an den Tag legt. Aber von ihrer kindlichen Unschuld und Kreativität als Jungautorin geht eine annähernd perverse Faszination aus. Ironischerweise liegt es nahe, dass sich Frau Marston mit diesem Mädchen und dem Charakter der Weltenzauberin identifiziert hatte. Nur so war es zu verstehen, dass aus einer introvertierten, ruminierenden Schriftstellerin in der Romanvorlage eine gefeierte Choreografin auf der Bühne geworden war. McEwan verwendet in seinem Roman eine komplexe, multidimensionale Erzählstruktur und spielt mit verschiedenen Perspektiven, was dem Werk zusätzliche Tiefe verleiht. Marstons Herausforderung bestand darin, dieses literarische Kaleidoskop und die emotionale Intensität in eine tänzerische Form zu übersetzen. Dabei wurde sie in kongenialer Weise durch die minimalistischen Abstraktionen des Bühnenbildners Michael Levine unterstützt. Sie verwendete für ihre Figuren typische Bewegungen, Gesten und Kostüme wie Signaturen, die sie beibehielten oder immer wieder wiederholten und unterstrich diese durch musikalische Leitmotive, die eingebettet in einer atmosphärischen Melange aus Stilen von der britischen Komponistin Laura Rossi komponiert wurden. Erst die Musik macht bekanntlich den Tanz lebendig. Als kleines Detail entdeckte ich, dass sich die Tänzer und Tänzerinnen entsprechend ihrem Alter am Schuhwerk unterschieden. Die Kinder und Jugendlichen trugen Schläppchen, die weiblichen Erwachsenen Spitze und die Männer Lederschuhe. Aber das sommerliche Vergnügen mit hübschen kindlichen Darbietungen eskalierte schnell zu einem hitzigen Rausch an Gefühlen zwischen dem jungen Mann Robbie, dem Sohn der Magd, und Brionys älterer Schwester Cecilia. Ein leider viel zu formales Pas de deux endet erwartungsgemäß in einer leidenschaftlichen Liebesszene. Bald aber überschlugen sich die Ereignisse, als die beiden kleinen Jungen verschwanden und die Vergewaltigung des Mädchens Lola die Klimax des ersten Aktes bildete. Robbie, der in den Augen der eifersüchtigen Briony einen lüsternen Triebtäter darstellte, wird zu Unrecht beschuldigt und unter den verzweifelten, aber vergeblichen Protesten von Cecilia von Polizistin abgeführt. Der Vorhang fällt. 

Der zweite Akt des Tanzstückes begann mit einer Wiederholung der Verhaftungsszene aus dem ersten Akt in einer Variation, die möglicherweise eine weitere Stufe der Erinnerung der Geschehnisse aus den Augen von Briony darstellte. Es fiel auf, dass immer wieder Figuren auftauchten, die beobachtend dabeistanden, wiederum von anderen beobachtet wurden und wir als Zuschauer dasselbe taten. Die selbe Methode der Überwachungskette wählte Marston in der darauffolgenden Szene, die eine stilisierte Tanzprobe zeigte, in der Tänzerinnen an der Stange probten. Neue Figuren schauen dem Geschehen zu, während im Hintergrund ein Männerensemble ein Bild vom Häftlingsalltag in Szene setzt. Diese Gruppe besteht aus 12 Tänzern, einer Lieblingsformation der Choreografin, die damit wahrscheinlich Ordnung ausdrücken wollte. Diese Szene hatte sie allerdings dem Tanzstück als Erklärung beigefügt, was im Buch und auch im Spilefilm so nicht vorkommt. Robbies Haft kann man erahnen und ein radikales Weglassen spricht für die Ökonomie des Romanschreibens. Im Tanzstück ging es nahtlos in eine weitere hinzugefügte, erläuternde Szene über. Sie zeigt eindringlich die Rekrutierung der Insassen durch die Britische Armee und stimmte uns auf den bevorstehenden Krieg ein. Er fordert Soldatenopfer und zurückgebleibene, trauernde Frauen und Mütter, die Hoffnungen hegten, ihre Liebsten jemals wiederzusehen. Das hofft auch Cecilia, die zu Kriegszeiten zuhause als Krankenschwester diente und auf Robbie wartete. „Ich warte auf dich. Komm zurück.“ Briony spielte immer wieder Gott, indem sie viele Rollen übernahm. Mal war sie kindliches Protegé, dann Choreografin mit Gasmaske, was von einer Kuriosität, einem fotografischen Fundstück einer Tänzerin aus Paris von 1939, hergeleitet wurde, und die ständige Beobachterin. Sie unternahm sogar die Anstrengungen, sich ebenfalls als Krankenschwester verdient zu machen. Immer wieder im Verlauf des Stückes verwendete Marston Gruppenformationen von einem Dutzend Tänzerinnen, die in verschiedenen Variationen und Kombinationen mit Einzelcharakteren interagierten. Mal folgten sie konventionellen Abläufen, mal bildeten sie Formationen, die wie das bedrohliche Bild eines Stukageschwaders wirkten. Irgendwann regnete es theatralische Blutstropfen auf die Bühne, die für die vielen Gefallenen standen, die im Inferno des verzweifelten Rückzugs der britischen Truppen bei Dünkirchen ihr Leben ließen. Wer im sichtlichen Wirrwarr der Figuren und der Hektik der Choreografien noch mitkam, erkannte, dass das Vergewaltigungsopfer und der wahre Täter den Bund der Ehe eingingen, was ein weiterer Clou auf die Wahrheit darstellte. Der Ehezeremonie des Paares wurde ein Double, was zusammen eine Vergewaltigungsszene mimt, beigefügt.


Die Coda, der überraschende Kunstgriff, wurde im Tanzstück nach dem zweiten Vorhang, dem vermeintlichen Ende und obligatorischen Klatschen der Zuschauer, zum dritten Akt. Er wurde abweichend vom Buch sowohl im Kinofilm als auch im Tanzstück abgeändert, was man unter künstlerischer Freiheit verstehen könnte. Im Buch besuchte die mittlerweile 77-jährige Briony das ehemalige elterliche Anwesen, was zum Hotel umfunktioniert wurde, und hörte überraschenderweise ihr Erstlingswerk The Trials of Arabella, welches sie als 11-jährige verfasste. In einer kindlichen Lesung eines ihrer Großneffen versetzen ihre eigenen Worte sie in Verwunderung und Verzückung: „Ich hatte einen Zaubertrick erwartet, aber was ich hörte, klang übernatürlich.“ Dann gleitete sie in einen inneren Monolog ab und bekannte ihre Verbrechen. Im Film stellt sich Frau Tallis in einer Talkshow einem Fernsehmoderator und gesteht, dass auch ihr letztes Buch eine Lüge ist und die Wahrheit weder den Toten noch ihren Lesern dienlich sei. Im Tanzstück bediente sich Marston einem vom Dramaturgen Edward Kemp geschriebenen Text, der inhaltlich fast identisch ist mit dem Interview aus dem Kinofilm und als abgespielte Tonbandaufzeichnung aus dem Off tönte, welches einem filmischen Voiceover gleichkam. Leider wurde dadurch die Brillianz und Präzision der Romanvorlage in ein gefälliges Melodrama verwandelt. Damit haben beide, Regisseur und Choreografin, folgenden Satz aus der originalen Coda erfolgreich umgesetzt: „In ihrer Fantasie hat sie die Grenzen und Bedingungen festgelegt.“

Cathy Marston hatte mit ihrer Adaption von „Atonement“ versucht, die Raffinesse der Literatursprache in Gesten und Bewegungen zu übertragen, was in Anbetracht der Komplexität der Vorlage höchst ambitioniert, aber auch gewagt war. Literatur besitzt die einzigartige Fähigkeit, Gedanken durch Sprache in präzise Sätze, Worte und logische Strukturen zu fassen. Autoren können innere Monologe, komplexe Ideen und fein nuancierte Emotionen detailliert beschreiben und die Leser in die tiefsten Ebenen der Charaktere und ihrer Welt eintauchen lassen. Dies geschieht durch die bewusste Wahl von Wörtern, Satzkonstruktionen und dem Aufbau von narrativen Strukturen, die den Lesern ermöglichen, sich gedanklich und emotional mit den Inhalten zu verbinden. Da das Medium Film in der Regel auch mit Sprache operiert, basieren Filme meistens auf einem Buch und machen was ganz ähnliches. Im Gegensatz dazu drückt sich Tanz durch ein Repertoire von Gesten, Handlungsabläufen und Bewegungen aus, die aus verschiedenen Traditionen wie dem klassischen Ballett, der Moderne, der Oper oder dem Tanztheater stammen. Diese physischen Ausdrucksformen schaffen Stimmungen, Motive und Emotionen, die durch die synergetische Wirkung von Musik, Bühnenbild und Inszenierung verstärkt werden. Tänzer und Tänzerinnen nutzen die Körper als Instrument, um Geschichten zu erzählen und emotionale Zustände zu vermitteln, wobei jede Bewegung und jeder Schritt eine Bedeutung tragen sollte. Nichts ist zufällig. Die visuelle und auditive Dimension des Tanzes erlaubt es dem Publikum, die dargestellten Emotionen und Geschichten auf einer sinnlichen Ebene zu erleben, was Worte in der Regel überflüssig macht. Marston dagegen machte sich der Worte gleich an zwei Stellen untertan.


Zusammengefasst nutzt Literatur die präzise Macht der Sprache, um Gedanken und Gefühle direkt zu artikulieren, während Tanz durch körperliche Ausdrucksformen und die Integration von Musik und visuellem Design eine unmittelbare emotionale Erfahrung schafft. Beide Kunstformen haben ihre eigenen Mittel und Wege, um tiefe menschliche Erlebnisse zu vermitteln, und bieten einzigartige Wege, um die inneren und äußeren Welten der Menschen darzustellen. Ist die Brücke zwischen Literatur und Tanz vielleicht jene Brücke auf die Insel im Park des Landhauses, wo die nächtliche Gewalttat stattfand und für die man in der absoluten Dunkelheit der Realität Bilder der Inspiration sucht? Sowohl die narrative Komplexität als auch die emotionale Tiefe des Romans und seiner Adaptionen oder Inkarnationen fangen das auf beeindruckende Weise ein. Marstons Fähigkeit, Geschichten durch Tanz zu erzählen, setzte auf jeden Fall neue Maßstäbe für das narrative Ballett und zeigte, dass Ballett als erzählerisches Medium ebenso kraftvoll sein kann wie eine literarische Vorlage oder das Medium Film selbst. Die Stärke der Fiktion liegt gerade in der Vielschichtigkeit und in der Fähigkeit, verschiedene Genres, sowie narrative und thematische Elemente zu einem kohärenten und fesselnden Ganzen zu verweben.


Das ca. zweieinhalbstündige Stück ist eine Koproduktion mit dem Joffrey Ballet aus Chicago und noch bis Ende Juni 2025 am Opernhaus Zürich zu sehen.


Bildnachweis: Ballet Zürch Pressefotos - Admill Kuyler


https://www.opernhaus.ch/spielplan/kalendarium/atonement/2023-2024/





The artifice: Cathy Marston choreographed Ian McEwan's "Atonement"

Essay by Hans Pfleiderer, May 24, 2024

The fascination of ballet and the innovative power of Cathy Marston as a British choreographer are particularly evident in her most recent work, an adaptation of Ian McEwan's 2001 novel "Atonement". The award-winning 2007 film drama of the same name by director Joe Wright should also be mentioned here, particularly because it deals with certain artistic liberties, which I will discuss in more detail later. Marston, who is known for her narratively strong and emotionally gripping ballet productions, brought this homage of the literary masterpiece to the stage of the Zurich Ballet, which she has been helming since the start of the 2023/24 season.


Cathy Marston, born in Newcastle upon Tyne, England, in 1975, began her career as a dancer with Zurich, Lucerne and Bern Ballet before focusing more on choreography. Her unique style combines elements of classical ballet, certainly with pointe shoes, with contemporary dance techniques to bring complex stories to life on stage. She places great emphasis on narrative clarity and emotional depth, using gestures and facial expressions intensively to portray the inner world of the characters. Her choreography combines the precision of classical ballet with the expressivity of modern dance and is often closely interwoven with music to achieve a deeper emotional impact. Marston uses the stage space and sets creatively and encourages her dancers to improvise and explore movement, sometimes incorporating furniture or various props to find individual, fluid forms of expression. Her works are often inspired by literary works, biographies or historical events and strive for physical and emotional authenticity, making her choreographies both narratively and movement-wise complex and deeply moving. Some of these include "Jane Eyre", "The Cellist" and "Victoria".


I was able to get a first impression of Marston's work at a public rehearsal in the rehearsal hall and a taste of this new project on the main stage on September 16, 2023 at the opening party for Ballet Zurich's season opening. The rehearsal clearly demonstrated her ability to express the psychological and emotional aspects of the characters through dance using expressive gestures. This ability was also highlighted by Andreas Homoki, the opera director, at the premiere celebration on April 28, 2024, when he said: "Cathy Marston used an artifice" to incorporate the novel's multi-layered narrative into her choreography. Audience reactions, as I had witnessed them up in the balcony, were mixed, partly due to the heterogeneous, fragmented nature of the source material and its execution. So I wondered whether it would be enough to understand the play without a program booklet, prior readings or watching the movie. The first scene had something playful, idyllic and naive about it. One of the dancers, whom I immediately associated with Briony, demonstratively paced the stage like a child. Whispered comments such as "This is a grotesque!" and "Do you understand anything?" reflected the initial difficulties some audience members had in grasping the story. While the book treats the themes of innocence, guilt, power and forgiveness seriously and without any farce, Marston unfortunately got carried away with using a number of the typical clichés and stereotypes of exaggerated gestures known to be used in both theater and opera.


I read the novel carefully before writing my essay, if only because I met the master himself at the opening night party on the main stage after the show and chatted casually with him about anything under the sky. Ian McEwan's novel is structurally very well thought out. The author and his work "Atonement" can be seen as representatives of postmodernism, as they feature meta-fictional elements, intertextuality, complex narrative structures, subjectivity and the blending of reality and fiction. The first part of the book, set in the mid-1930s, reflects the orderly, routine world of the English country house and the protagonists on a hot summer's day before the onset of chaos. Briony Tallis, one of the main characters, writes these parts of the story from her perspective and, as is later understood, attempts to reconstruct the events in retrospective detail. The numbered chapter structure can be interpreted as Briony's attempt to bring order and clarity to her memory and account of events. This structure is softened in the later parts set during the Second World War and in the adult Briony's reflections, reflecting the uncertain and turbulent nature of these times. The second part, from the eyes of Robbie Turner, set in France during the early days of the Second World War, shifts to a more intense, immediate, quasi-documentary style. The structure breaks with the previous order due to the lack of numbering and emphasizes the break in the characters' lives. In the third part of the book, from Briony's point of view as an adult writer, the structure becomes even freer, reflecting her more mature but also neurotic and less orderly perspective. These structural choices by McEwan reinforce the thematic complexity and emotional aspects of the story, culminating in a happy ending for the lovers. Were it not for the infamous coda, a 20-odd page epilogue with a confession and the heinous legacy of our heroine, our cold-blooded inventor who still prefers to keep her secret of defamation from the survivors of the families involved and take it to her grave. Robbie and Cecilia, as you might have guessed, are long dead. And Briony's wish to erase the people involved and the players post mortem for all time may also succeed, because she becomes demented.


"Atonement", which could just as easily have been called "Indictment", is neither clearly a psychological discourse nor a pure crime story, but a multi-layered work that integrates elements of both genres. The psychological aspect of the novel is reflected in the protagonist Briony Tallis' deep feelings of guilt and remorse, while the criminal elements are expressed through the false accusation and the failure to investigate the truth. The central psychological aspects include the conflict that Briony's false accusation against Robbie Turner leads to his conviction as a rapist and the destruction of his happiness in life with her sister Cecilia. This leads to lifelong feelings of guilt and a desire for atonement. The novel explores how this guilt affects her life and the lives of others. Briony's childhood misunderstandings and her later reflection on them remain the central theme, exploring the subjective nature of perception and memory or interpretation as opposed to reality. The character development, particularly Briony's transition from child to adult writer, is abrupt and of brutal hubris. The novel explores how her identity and self-image are shaped by her actions and her attempts to make amends. The criminal elements are equally present. The false accusation of Robbie Turner for a crime he did not commit and the willful silence of confidants are the central criminal acts of the novel and the impetus for the entire plot. Then there is a letter, an indication of a 19th century literary form. As in a detective story, there is an investigation into the truth behind the crime. The novel gradually uncovers the misunderstandings and misinterpretations that led to the false accusation. The themes of justice and punishment are also present. The question of whether and how Briony can atone for her actions and whether Robbie and Cecilia will receive justice through atonement runs through the entire story, but resolves itself with the fading mind of the lonely woman.



In the first act, Marston adopted the narrative of the original novel in an abbreviated form and focused on the dominant perspective of the adolescent 13-year-old Briony Tallis, who gradually displays total control and pathological malice. But there is an almost perverse fascination with her childlike innocence and creativity as a young author. Ironically, it stands to reason that Mrs. Marston identified with this girl and the character of the worldly wizard. This was the only way to understand why an introverted, ruminating writer in the original novel had become a celebrated choreographer on stage. McEwan uses a complex, multidimensional narrative structure in his novel and plays with different perspectives, which gives the work additional depth. Marston's challenge was to translate this literary kaleidoscope and emotional intensity into a dance form. In doing so, she was congenially supported by the minimalist abstractions of set designer Michael Levine. She used typical movements, gestures and costumes for her characters like signatures, which they retained or repeated again and again, and underlined these with musical leitmotifs embedded in an atmospheric melange of styles composed by the British composer Laura Rossi. As we all know, it is the music that brings the dance to life. As a small detail, I discovered that the dancers differed in their footwear according to their age. The children and teenagers wore slippers, the female adults wore pointe and the men  leather shoes. But the summery fun with puppet theatre and lemonade quickly escalated into a heated frenzy of emotions between the young man Robbie, the maid's son, and Briony's older sister Cecilia, daughter of well-to-do family. An unfortunately far too formal pas de deux ends, as expected, in a passionate love scene. However, events soon came thick and fast when the two young boys disappeared and the rape of the girl Lola formed the climax of the first act. Robbie, who in the eyes of the jealous Briony was a lecherous sex offender, is falsely accused and taken away by the police to the desperate but futile protests of Cecilia. The curtain falls. 


The second act of the dance piece began with a repetition of the arrest scene from the first act in a variation that possibly represented a further stage of remembering the events through Briony's eyes. It was noticeable that characters kept appearing, standing by watching, being watched by others and we, the audience, doing the same. Marston chose the same method of the chain of surveillance in the following scene, which showed a stylized dance rehearsal in which dancers were rehearsing on the pole. New suspicious figures watch the action, while in the background a male ensemble stages an scene of everyday life in prison. This group consists of 12 dancers, a favorite formation of the choreographer, who probably wanted to express forced order. However, she had added this scene to the dance piece as an explanation, which does not appear in the book or the movie. Robbie's imprisonment was self-evident and a radical omission speaks to the economy of writing a novel. In the dance piece, there was a seamless transition into another added, explanatory scene. It vividly showed the recruitment of the inmates by the British army and prepares us for the impending war. It calls for soldiers' sacrifices and grieving wives and mothers left behind who had hopes of ever seeing their loved ones again. Cecilia, who served as a nurse at home during the war and waited for Robbie, hopes the same. "I'm waiting for you. Come back." Briony played God again and again, taking on many roles. At times she was a child protégé, then a choreographer with a gas mask, which was derived from a curiosity, a photographic find of a dancer from Paris in 1939, and the constant observer. She even made the effort to excel as a nurse as well. Throughout the piece, Marston used group formations of a dozen dancers who interacted with individual characters in different variations and combinations. Sometimes they followed conventional sequences, sometimes they formed formations that looked like the menacing image of a squadron of Stukas. At one point, theatrical drops of blood rained down on the stage, representing the many fallen soldiers who lost their lives in the inferno of the British troops' desperate retreat at Dunkirk. Those who were still able to keep up with the visible confusion of the characters and the hectic choreography realized that the rape victim and the real perpetrator had entered into a marriage, which was another clou on the truth. A double miming a rape scene together was added to the couple's marriage ceremony.


The coda, the surprising artifice or trick, became the third act in the dance piece after the second curtain, the supposed end causing the audience to their obligatory clapping. In contrast to the book, it was changed in both the movie and the dance piece, which could be understood as artistic freedom. In the book, the now 77-year-old Briony visits her parents' former estate, which has been converted into a hotel, and surprisingly listens to her first work, The Trials of Arabella, which she wrote when she was 11 years old. In a childlike reading by one of her great-nephews, her own words left her astonished and entranced: „I’d been expecting a magic trick, but what I heard had the ring of the supernatural." Then she slipped into an inner monologue and confessed her crimes. In the film, Mrs. Tallis confronts a television presenter on a talk show and confesses that her last book is also a lie and that the truth serves neither the dead nor her readers. In the dance piece, Marston used a text written by dramaturge Edward Kemp, which is almost identical in content to the interview from the movie and played as a tape recording from the off, which resembled a cinematic voiceover. Unfortunately, this turned the brilliance and precision of the original novel into a pleasant melodrama. Both director and choreographer thus successfully realized the following sentence from the original coda: "In her imagination she has set the limits and the terms."


With her adaptation of "Atonement", Cathy Marston had attempted to translate the sophistication of the literary language into gestures and movements, which was highly ambitious but also daring given the complexity of the original. Literature has the unique ability to express thoughts through language in precise sentences, words and logical structures. Authors can describe inner monologues, complex ideas and finely nuanced emotions in detail and immerse the reader in the deepest levels of the characters and their world. This is done through the deliberate choice of words, sentence construction and the building of narrative structures that allow readers to connect mentally and emotionally with the content. Since the medium of film usually also operates with language, films are usually based on a book and do something very similar. In contrast, dance expresses itself through a repertoire of gestures, action sequences and movements that originate from various traditions such as classical ballet, modern dance, opera or dance theater. These physical forms of expression create moods, motifs and emotions that are reinforced by the synergetic effect of music, stage design and staging. Dancers use the body as an instrument to tell stories and convey emotional states, whereby every movement and every step should carry a meaning. Nothing is accidental. The visual and auditory dimension of dance allows the audience to experience the emotions and stories portrayed on a sensory level, which usually makes words superfluous. Marston, on the other hand, deployed words in not less than two places.


In summary, literature uses the power of language to articulate thoughts and feelings directly, while dance creates an immediate emotional experience through physical expression and the integration of music and visual design. Both art forms have their own means of conveying deep human experiences and offer unique ways of portraying people's inner and outer worlds. Is the bridge between literature and dance perhaps that literally bridge to the island in the park of the country house where the night-time violence took place and for which images of inspiration are sought in the absolute darkness of reality? Both the narrative complexity and the emotional depth of the novel and its adaptations or incarnations capture this impressively. Marston's ability to tell stories through dance certainly set new standards for narrative ballet and showed that in our times ballet as a narrative medium can be just as powerful as a literary source or the medium of film itself. The strength of fiction lies precisely in its complexity and its ability to weave different genres as well as narrative and thematic elements into a coherent and captivating whole.


The approximately two-and-a-half-hour piece is a co-production with the Joffrey Ballet from Chicago and can be seen at Opernhaus Zürich until the end of June 2025.


Picture credits: Ballet Zurich press photos - Admill Kuyler


https://www.opernhaus.ch/spielplan/kalendarium/atonement/2023-2024/

Schreibkram - paperwork

von Hans Pfleiderer 10. Dezember 2025
Die Inszenierung von Anne Bernreitner ist nicht bloß ein Eigentor, sondern ein Volltreffer ins eigene Gesicht — eine Operetten-Implosion, bei der selbst Johann Strauss im Jenseits nach einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung greifen würde. Das Opernhaus Zürich hat Die Fledermaus nicht aus ihrem Traum gerissen, nein — es hat sie betäubt, seziert, falsch zusammengenäht und dann stolz behauptet, es handle sich um ein zeitgenössisches Update . Die Stromleitung, von der Strauss seine funkelnde Spannung bezog, wurde von Bernreitner & Co. kurzerhand an den Starkstromkasten des politischen Moralunterrichts angeschlossen. Jeder Ton durfte nur noch durch, wenn er zuerst durch den Genderfilter, den Selbstoptimierungsprüfer und den identitätspolitischen TÜV geschickt worden war. Währenddessen zahlte das Publikum Preise, bei denen selbst die Zürcher Immobilienbranche errötet. 335 Franken für eine Premiere, die sich aufführte, als wäre sie ein pädagogischer Wandertag mit musikalischem Materialrecycling . Und dann die seichten Lobhudeleien im Anschluss, die Beschönigungsrede eines frisch installierten Intendanten, der noch immer den Duft der Vertragsmappe im Haar trägt — alles garniert mit billigem Sekt, der vermutlich die gleiche Herkunft hat wie die Ideen des Abends: aus der Abteilung „Alles muss weg“ . Der Abend fühlte sich an wie ein gut gemeinter Kindergeburtstag, organisiert von Menschen, die gleichzeitig Angst vor Luftballons, Kuchen und Spaß haben. Das wirkliche Drama beginnt aber dort, wo Strauss in Zürich zum Fallbeispiel eines gesellschaftlichen Therapieseminars umfunktioniert wurde. Operette? Nein — Zwangsbeglückung mit theoretischem Kunstdünger. Man schaufelte so viel Jelinek, Menasse, Jung, Adichie und GCI darüber, dass darunter selbst ein Mammut erfrieren würde. Es war, als hätte jemand gesagt: „Die Fledermaus ist fröhlich — das können wir so nicht stehen lassen! Schnell, bringt Ernsthaftigkeit! Ernsthaftigkeit!! Und Tango! Und Textbausteine!“ Und jemand anders rief: „Wir retten das Stück, indem wir es vollständig austauschen!“ Der Abend war eine politische PowerPoint-Präsentation im Kostüm einer Operette . Ein dramaturgischer Zauberkasten, aber leider einer, bei dem jedes Fach mit denselben drei Tricks gefüllt ist: 1. Ironisierung, 2. Dekonstruktion, 3. Überdeutung und am Ende das große Finale: „Wir wissen’s besser als Strauss.“ Lustig nur, dass Strauss seit 1874 ununterbrochen gespielt wird — Bernreitner muss erst noch beweisen, dass sie morgen in Zürich noch jemand kennt, der nicht beruflich dazu verpflichtet ist. Und so verließ ich den Saal wie jemand, der erkennt, dass er nicht in einer Operette saß, sondern in einem soziopolitischen Escape Room , aus dem man nur durch spontane Selbstachtung entkommt. Ich glitt die Treppe hinunter, bestellte Champagner mit derselben Verzweiflung, mit der andere Menschen auf Schmerzmittel zugreifen, und erhob mein Glas auf eine Erkenntnis, die mich unerwartet tröstete: Die Zürcher Fledermaus war keine Fledermaus — sie war das Ei des Vogelstrauss, aus dem ein missmutiges, flugunfähiges Regietheaterküken schlüpfen wollte. Aber es blieb im Ei stecken. Und damit torkelte ich in die regnerische Zürcher Nacht.
von Hans Pfleiderer 26. November 2025
Hamburg, in December, glitters the way cities do when they want to distract you. Christmas lights hang like delicate lies above the streets, offering comfort in a season that has grown thin from giving. The city pretends to be generous. But like so much of the world now, Hamburg has nothing left to give . These are hard days. Taxes and military budgets are the new shadows , and no constellation of white bulbs can keep them from showing. Just behind the Rathaus, down a short street that doesn’t care for tourists, sits the Nica Club —a small, breathing room built for three hundred listeners who, knowingly or not, come here to remember something they once believed about beauty. The place does not perform charm; it simply holds you, the way a small church holds its tired faithful. On this night, Kennedy steps onto the stage. She wears pink regalia and soft slippers , as though she has carried a piece of Brooklyn with her, unbothered by the distance. Before the music begins, she slips into a pair of high heels —shoes that might have been purchased minutes earlier in the nearby cathedrals of Prada or Dior . The gesture is small, almost intimate, and yet carries the weight of a woman choosing her own form of power. Her band—the Kennedy Administration —forms a quiet circle around her: keys, bass, guitar, and a German drummer brought along for the tour. They are not background; they are a conversation, a living rhythm that rises to meet her voice rather than follow it. She sings of love, of life, of honor . Words that, in another age, might have sounded sentimental. But today, coming from Brooklyn—a place still alive but pressured by political nightmares—they sound like a plea, a warning, and a promise carried in the same breath. America is a country wrestling itself in the dark. With Trump’s return to prominence, the old fears have found new teeth. Artists, immigrants, queer folk, the vulnerable, and the brave find themselves once again navigating a nation that wishes to narrow the meaning of freedom. Hans sits in the front left corner , not hiding, not observing from a distance. He swings early, almost involuntarily, the way a soul responds when it recognizes something that once raised it. He has known music like this before—music that does not entertain but confronts, that asks who you are when no one is applauding. Hans grew up in a multicolored household, where jazz albums leaned against film books and civil-rights leaflets. Two families shaped him: the Pfleiderers of Konstanz , whose Protestant order and artistic hunger lived side by side, and the Abernathys of Atlanta , whose walls once carried the echo of marches, hymns, and meetings that hoped to change what America meant. There was also Mick , his baby brother , the younger one. A quiet, brilliant scholar of history , who spent semesters as the only light-skinned student at Morehouse College . A place where memory is not an academic concern but a daily reckoning. Mick moved easily in and out of Juanita and Ralph Abernathy’s home. It was not simply a house; it was a threshold into a community that refused to forget who had paid the price for the country’s promises.
von Hans Pfleiderer 25. November 2025
Pascal Schöning’s Manifesto for a Cinematic Architecture deserves recognition for one essential reminder: architecture is not an accumulation of objects but an experience, a sequence, an unfolding event in time. As an architect, I have often witnessed buildings being celebrated as sculptural trophies while atmosphere, sound, temperature, and movement are treated as secondary concerns. In this sense, Schöning is a necessary irritant to a discipline obsessed with objects. But as someone who works with both buildings and cameras, I also see the limits of his argument — limits he does not cross because his theory slides too far into a filmic worldview, one in which human beings trade their eyes for lenses and their perception for sensors. 1. Spatial experience is not cinematic — it is human Schöning insists that architecture should be understood primarily through time and movement. Partially true. Yes: architecture is temporal. Every step changes perspective. But human perception does not function like a camera. Our experience of space is multi-sensory and embodied: temperature, acoustics, proprioception, texture, memory, smell, social context. Cinema captures only a narrow slice of this. To define architecture through cinema is to reduce spatial experience to framing, sequencing, and light direction. That does not expand architecture; it diminishes it. 2. The camera is not an architectural instrument — it is an apparatus of interpretation Schöning replaces drawings with the camera. This sounds radical, but it is conceptually unstable. A camera records the visible, but architecture includes the non-visible: structure, acoustics, thermal behavior, circulation logic, aging, responsibility, codes, and the lived patterns of occupants. Film excels at atmosphere — not at conveying what makes a building endure, function, and serve. An architect who plans through the camera alone designs pictures, not places. 3. The danger of turning architecture into esotericism Schöning argues that architecture can exist purely as a mental construct. As poetry, this is fine. As theory, it dissolves architecture into metaphysics. Architecture becomes a consciousness experiment, detached from material, construction, and human necessity. As a filmmaker, I accept that cinema creates mental spaces. As an architect, I know that: A building that exists only in thought shelters no one. Architecture may begin in perception, but it must return to earth — to material, gravity, climate, people. 4. Technological romanticism: when the architect becomes a cameraman The manifesto sometimes treats the camera as a transcendental instrument — a replacement for intuition, craft, and responsibility. But the camera is always selective, always partial. Filmic perception is technologically mediated; architectural perception is embodied. Schöning conflates these realms and elevates the technical filter into a superior way of seeing. 5. A cinematic approach remains incomplete Schöning underestimates a simple truth: Architecture begins not with seeing, but with using. A space is meaningful because it: supports life, organizes movement, fosters community, preserves dignity, withstands time. Cinema can depict these qualities, but it cannot generate them. 6. A Personal Reflection: From Esotericism to Human Truth — Meeting Lebbeus Woods In 2005, I visited Lebbeus Woods in his New York City studio to interview him for my film Moonwatcher: A Personal Odyssey. At that time, my approach to filmmaking was still heavily esoteric — steeped in grand themes of Creation and Destruction, mythic cycles, and archetypal figures. Woods’s speculative architectures, his explorations of rupture, instability, and alternative spatial logics, aligned perfectly with the conceptual universe I was trying to articulate. My original idea was to frame the film around Moonwatcher, the proto-human figure from the opening sequence of 2001: A Space Odyssey. Since my protagonist Dan Richter had embodied Moonwatcher in Kubrick’s film, I treated him not simply as an actor, but as a symbolic figure — the first thinker, the first maker, the first being who grasps the tool that can create or destroy. That cosmic reading fit perfectly within the atmosphere of Woods’s studio: fractured models, speculative diagrams, drawings that looked transported from another possible world. But when I assembled the early footage, a realization emerged with growing clarity: the film didn’t work. It was too conceptual, too mythic, too detached from the very person whose life it was meant to explore. The esotericism swallowed the humanity. So I did what both architects and filmmakers eventually learn to do: I returned to the human scale. I stripped away the symbolic scaffolding and focused instead on Dan Richter himself — his life, his struggles, his remarkable journey through the artistic and social revolutions of the 1960s and 70s. When the film became about Richter’s lived reality, not about the archetype he once portrayed, it transformed. It evolved into an unexpectedly epic narrative, grounded in honest voices from the hippie era — people speaking openly about their fears, their hopes, their experiments, their emotional currents. The shift from myth to person revealed a profound truth: speculation may inspire, but humanity gives meaning. It is the same lesson that tempers my critique of Schöning’s cinematic architecture and Woods’s visionary constructs: abstract systems may ignite the imagination, but it is real people — with bodies, histories, and vulnerabilities — who inhabit the world. At the end of the film, Richter delivers a line that encapsulates not only his worldview, but the entire transformation of the project: “There is nothing wrong about nature. Nature works perfectly.” A sentence spoken without myth, without theory — just experience. And that, in the end, is where both architecture and cinema find their deepest truth. Conclusion: Film enriches architecture, but cannot replace it As an architect, I welcome film as a tool that sharpens perception. As a filmmaker, I know that film is always partial, always framed. Schöning is valuable when he reminds us that architecture is an event, not an object. He falters when he implies that people move through space equipped with lenses and chips instead of bodies, memories, and emotions. Architecture may be cinematic — but it is not cinema. It remains one of the last material arts responsible for human life. And no manifesto should make us forget that we inhabit buildings with skin, breath, history, vulnerability, not with sensors and glass. Trailer: Moonwatcher: A Personal Odyssey https://youtu.be/KyZe57DJH94?si=FOLiP28tDFES3kIc
von Hans Pfleiderer 21. November 2025
Es begann in völliger Stille, jener Stille, die entsteht, wenn der Körper etwas weiß, das der Geist noch nicht aussprechen kann. Ich stand in der Halle, die Musik noch kaum hörbar, der Raum voller Menschen, die alle aus verschiedenen Gründen gekommen waren — und doch war keiner so nackt wie ich in diesem Moment. Ich war nicht wegen Tanz gekommen. Ich war gekommen, weil mein Bruder tot war. Ich tanzte, weil ich nicht wusste, wohin sonst mit diesem Gewicht, das mir auf der Brust lag wie ein gestrandeter Wal, tonnenschwer und stumm. Flow Im Flow kreisten meine Füße über den Boden, vorsichtig, fast sanft tastend. Ich fühlte ihn, meinen Bruder, wie eine ferne Erinnerung, die im Sand versinkt. Er, der nicht wie ich das Glück hatte, eine zerstörerische Krankheit zum Stillstand zu bringen. Er, der sich fallen ließ, als ich lernte zu stehen. Er, dem mein Leben zu schwer, meins zu hell war. Ich kreiste, und der Schmerz kreiste mit. Und dann sah ich Virginie. Sie bewegte sich, als würde sie durch unsichtbare Linien geschützt, Linien, die sie selbst gezogen hatte. Eine kleine Prinzessin, perfekt darin, ihre Krone gegen jedes Beben zu verteidigen. Und doch war da etwas in ihrem Blick, ein winziges Erzittern, das sich verriet, als ich mich ihr näherte. Ich bat sie: „Nimm mich an der Hand.“ Nicht als Mann, der etwas will. Sondern als Bruder, der etwas verloren hat. Sie zögerte. Ihr Atem stockte. Aber sie tat es. Und in diesem Augenblick waren wir nicht zwei Fremde, sondern zwei Sterne, die sich kurz im gleichen Orbit trafen. Wie der kleine Prinz und der Fuchs — nicht gezähmt, aber berührt. Staccato Der Rhythmus wechselte. Virginie wurde hartkantig, abrupt, eine Lichtgestalt, die in scharfen Winkeln tanzte. Sie wurde wütend. Überkritisch. Schneidend. Ich verstand es sofort. Wie die Rose, die eitel wurde, weil sie Angst hatte. Wie der kleine Prinz, der floh, weil er ihre Überforderung nicht begriff. Wie der Fuchs, der wusste, dass Annäherung Zeit braucht. Virginie riegelte ab, um nicht verbrannt zu werden. Sie sah meinen inneren Vulkan, die isländische Tiefe, die eruptive Energie. Sie sah Bilder, die ich nicht zügeln kann: Gletscherlicht, Polarwind, das metallische Blau von Askjas Kratersee. Sie sah nicht den Mann. Sie sah das Beben. Und wie die Rose flüsterte sie eigentlich: „Ich fürchte mich. Nicht vor dir. Vor mir, wenn ich zu nah komme.“ Chaos Chaos kam, wie es kommen musste. Wir lösten uns. Wir verloren uns. Wir fanden uns im gleichen Raum, aber nicht mehr im gleichen Schritt. Virginie wurde ein Sturm. Ich wurde ein Fels. Und zwischen uns lag die Unmöglichkeit zweier Intensitäten. Es war im Chaos, dass ich es hörte — den einzigen Ruf, den die Wüste mir damals schenkte: „Fall.“ Eine sanfte Stimme. Keine Drohung. Nur ein Echo. Ein Flüstern, das die Sahara vorbereitete. Ein Vorgeschmack des Sandes, der mich eines Tages prüfen würde. Doch ich fiel nicht. Ich fiel nur in meine eigene Tiefe zurück. Lyrical Im Lyrical lichtete sich alles. Es wurde heller, freundlicher, weiter. Der Schmerz ließ nach, der Körper wurde leicht. Und zum ersten Mal sah ich klar: Virginie war nicht Bestimmung. Sie war ein Hinweis. Eine Wegmarke. Kein Ziel. Denn während ich tanzte, klopften die anderen Stimmen an meine Brust: „Köllun.“ Es bedeutet Berufung. Afrika. Meine Freya. Nicht als Flucht. Als Bedeutung. Freya – die Schöpfende, die Wildleuchtende, die mich ruft, wenn ich mich selbst vergessen habe. Sie sprach nicht von Liebe. Sie sprach von Zeugung. Von Erschaffen. Von Werden. Stillness In der Stille sah ich alles. Ich sah den Polarwolf, mein geschundener Wagen, der sich auf der isländischen Hochebene überschlug, dort, wo nichts drohte. Nicht an den Klippen, wo die Wellen mich hätten verschlucken können, und Njord mich nach Hause geholt hätte. Nein. Flachland. Kälte. Sand. Ein kleiner Hügel, eine Sandverwehung — und ich überschlug mich wie ein Kapitel, das umblättert, ohne gefragt zu werden. Polarwolf trägt noch immer die Wunden. Und ich repariere ihn nicht, weil ich Autos liebe. Ich repariere ihn, weil er mein Spiegel ist. Er trägt meine Geschichte — so wie ich noch immer die Hand meines Bruders trage. Der kleine Prinz spricht Manchmal höre ich die Worte, wenn ich zwischen Schrauben und Rahmen knie: „Du bist verantwortlich für das, was du dir vertraut gemacht hast.“ Das gilt für meinen Bruder. Für Polarwolf. Für meine Projekte. Für das Kind, das ich nähren will — das meine Zukunft ist, nicht mein Erbe. Virginie gehört nicht zu diesen Verantwortungen. Sie wollte nicht gezähmt werden. Und ich wollte sie nicht fesseln. Aber sie zeigte mir etwas: Dass der Fuchs in mir leben will. Dass der Prinz in mir sucht. Dass die Rose in mir verwundbar ist. Dass der Pilot in mir endlich landen will. Der Ruf Afrika ruft. Freya ruft. „Köllun“ ruft. Die Filme rufen. Die Musik ruft. Nur eines ruft nicht mehr: Allein sein. Denn ich weiß jetzt: Hans will nicht allein bleiben. Hans will sein Kind nähren. Hans will das Leben weitergeben, das sein Bruder verlor. Und Virginie? Sie war der Moment, in dem mir klar wurde, dass Liebe nicht immer bleibt, aber manchmal zeigt, wohin man gehen muss.
von Hans Pfleiderer 20. November 2025
Giuseppe Verdis Macbeth als Studie in Schwärze: Das Zürcher Opernhaus zeigt die Wiederaufnahme von Verdis Oper, die 2016 unter Teodor Currentzis Premiere feierte, nun unter der musikalischen Leitung von Gianandrea Noseda und in der ursprünglichen Inszenierung von Barrie Kosky – ein Musiktheater von kompromissloser Konsequenz in Klang, Licht und Denken. Alles ist reduziert, nichts zufällig. Und doch: ein paar überflüssige Kniefälle trüben die makellose Linie. Dunkel leuchtet Verdi Noseda dirigiert Verdi mit glühender Präzision. Kein Pathos, kein Schmelz – stattdessen ein pulsierendes Drama in Blech, Trommeln und tiefen Streichern. Der Klang ist kompakt, unbarmherzig, von innerer Spannung aufgeladen. Verdis Musik erscheint hier als seelische Topographie: Macbeths Linien brechen in sich zusammen, Lady Macbeths Koloraturen schärfen sich zu Raserei, und Macduffs „Ah, la paterna mano“ wird zum einzigen Moment menschlicher Reinheit – ein Lichtstrahl in der Dunkelkammer der Schuld. Stimmen von Gewicht Roman Burdenko singt Macbeth als Mann ohne Halt: ein Bariton, der nicht strahlt, sondern erodiert – das Verlöschen in Tönen. Ewa Płonka erfüllt Verdis Forderung nach der brutta voce exemplarisch: Ihr Sopran ist keine Schönheit, sondern eine Waffe. In „La luce langue“ klingt sie, als schneide sie mit Glas in die Luft. Insung Sim (Banquo) überzeugt mit sonorem Fundament und moralischer Ruhe. Und Omer Kobiljak bringt als Macduf mit seinem hellen Tenor das einzige aufrechte Menschentum in dieses düstere Universum. Bühne, Licht – und ein ehrlicher Vogel Klaus Grünbergs Bühne ist ein schwarzer, lichtgeformter Raum, der mit optischer Tiefenwirkung die Grenzen des Schmuckkästchens Zürcher Opernhaus weit überschreitet – ein Vakuum aus Nebel, Schatten, Körpern. Das Licht erzählt selbst. Und es gibt Requisiten – von seltener Ironie: schwarze, ferngesteuerte Raben, die wie autonome Schattenwesen durch die Szenen gleiten. Einer von ihnen bleibt oft als stummer Zeuge sitzen, wippt, schaut, urteilt – und wenn Macbeth und Lady wieder einmal auf die Knie sinken, schüttelt er fast unmerklich den Kopf. Der ehrlichste Kommentar des Abends. Nur schade, dass der Regisseur ihn nicht bemerkt hat. Kosky und das Körpertheater Barrie Kosky denkt stark, aber lässt zu viel wanken. Seine Regie ist eindrucksvoll konzentriert, manchmal aber gestisch überfrachtet. Wenn die Chormasse aus dem Nichts der Hinterbühne auftaucht, schwanken die Figuren überdeutlich von links nach rechts, als wollten sie mir etwas sagen. Gähnen. Diese Armee des Grauens ist an sich schon bedrückend und überzeugend genug. Dieses ewige Knien, Rutschen, Zaudern – es ersetzt leider Emotion durch Pose. In der Stille wirkt Kosky groß, in Bewegung zu oft manieriert. Dabei könnte gerade die Ruhe, die Verdi schon in die Musik eingeschrieben hat, das wahrhaft Unheimliche offenlegen. Chor und Konzept Der Chor der Oper Zürich (Einstudierung: Klaas-Jan de Groot) singt makellos, besonders im Flüchtlingschor „Patria oppressa“ – gedämpft, klar, erschütternd. Dramaturg Claus Spahn rahmt den Abend als existentielle Tragödie über Macht und Entfremdung. Keine Geschichte mehr – ein Zustand. Fazit Ein Macbeth von seltener Geschlossenheit. Noseda entblättert Verdi bis aufs Nervensystem, Burdenko und Płonka singen mit schneidender Intensität, Grünbergs Licht-Bühne hypnotisiert. Nur die konventionellen Kniefälle und das choreographische Zaudern trüben kurz die Klarheit dieses schwarzen Wunders. Alte Schule. Und doch: Selten war Verdi so konsequent, so modern, so wahr. Verfasst am 12. November 2025 Bildnachweis: Pressefoto Opernhaus Zürich, Мacbeth, Giuseppe Verdi, Foto: Monika Rittershaus
von Hans Pfleiderer 14. November 2025
Einführung Als ich vor ein paar Tagen am Ende des ARTE Journals – jenem redaktionellen, obligatorischen Tauchgang in die internationalen Kulturtiefen und zugleich eines der letzten echten Highlights des linearen Fernsehens – zum ersten Mal von „Wunderkammer“, dem neuesten Werk des Choreografen Marcos Morau und der Musiker Clara Aguilar und Ben Meerwein, hörte, war klar: Die Hummeln in meinem Hintern würden mich in Bewegung setzen – ein Ausflug in die Hauptstadt war unausweichlich. Ekstase Was mich dann im Theater erwartete, war keine Aufführung im herkömmlichen Sinn, sondern ein energetischer Wirbel aus Körpern, Klängen und Kompositionen, der sich allen Kategorien entzog. Schon der Beginn war ein Schlag in die Wahrnehmung: Schummerlicht. Ich musste mir erst den gestrandeten Sand aus den Augen reiben – zu früh aufgestanden, um rechtzeitig den Flieger in Kloten zu erwischen – und fand mich plötzlich in einer anderen Wirklichkeit wieder. Kein sanftes Ankommen, kein Prolog: Das Stück begann, als hätte man mitten in einen laufenden Traum geschaltet. Grelles Licht, zersplitterte Musik, Gestalten, die sich in unbegreiflichen Formationen zusammenfanden, nur um im nächsten Moment wieder auseinanderzufallen. Die Tänzerinnen und Tänzer arbeiteten nicht mit klassischen Linien oder Bewegungsflüssen, sondern mit Groteske als Prinzip – der Körper als Instrument des Unbehagens, als Träger einer expressiven Überforderung. Die Bühne wurde zur lebenden Collage, zu einem Ort, an dem Tableaus entstanden, die zwischen mittelalterlicher Ikonografie, Albtraum und Modeperformance oszillierten. Manchmal schien es, als würde man in das Unterbewusstsein eines expressionistischen Gemäldes eintreten – überdreht, schillernd, aber stets präzise inszeniert. Die Musik tat ihr Übriges: ein elektronisch-archaischer Soundteppich, irgendwo zwischen ritueller Trance, Maschinenklang und clubtauglicher Verfremdung. Aguilar und Meerwein schaffen es, das Absurde und das Körperliche miteinander zu verschmelzen; ihre Klangarchitektur trägt die Bewegung nicht – sie stößt sie an, widerspricht, reizt. „Wunderkammer“ ist kein Stück, das man versteht. Es ist ein Stück, das man erduldet, bestaunt, absorbiert. Es fordert Präsenz – die der Tänzerinnen ebenso wie die des Publikums. Marcos Morau führt den zeitgenössischen Tanz an einen Punkt, an dem er zugleich dekonstruktivistisch zerfällt und phoenixhaft neu entsteht – als rauschhafte Erfahrung zwischen Theater, Club und Kathedrale. Nachklang Beim Verlassen der zweiten Reihe sahen mich die beiden jungen Männer neben mir mit riesigen Augen an. „Did you like this?“ fragte einer von ihnen. Ich grinste – noch halb im Taumel – und sagte: „You bet. I just came to Berlin for that!“ „Really?“ Wir liefen hinaus, als bräuchten wir Gemeinschaft als Therapie – oder einfach nur Gequatsche auf höchstem Niveau nach diesem disruptiven Kulturschock – und landeten nach ein paar Schritten vom Schillertheater entfernt auf der Kantstraße. Dort, im Papaya, verbrachten wir wie die Überlebenden eines innerstädtischen Erdbebens zweisprachig die nächsten vier Stunden zwischen Pad-Thai-Nudeln, Limettenaroma und einem leisen, fast erleichterten Schweigen. Langsam kehrte bei mir wieder Ruhe ein. Die improvisierte Notstandsgruppe verwandelte sich in eine kleine „Friends-for-Future“-Zelle: Zeke Greenwald (32), Administrator bei der Holocaust-Organisation Claims Conference mit Sitz in Berlin, ursprünglich aus Pittsburgh, Pennsylvania. Jörg Ehlert (47), Grundschullehrer aus Leipzig, mit einer bewegten Vergangenheit und einem sensiblen Wesen. Sein Großvater war ein Militarist und sein Vater bei der Stasi – mit allem, was dazugehörte: Privilegien, einem knallroten Mazda zu DDR-Zeiten und West-Comicheften für den kleinen Jörg. Und schließlich ich, Hans (65), Filmemacher, Beobachter, Nomade zwischen den Disziplinen. Drei Generationen an Dudes, zusammengeschweißt im phosphoreszierenden Nachglühen eines Berliner Novemberabends. Draußen nieselte es, das Neonlicht spiegelte sich auf dem Asphalt, und irgendwo in der Ferne heulten die Sirenen. Es war der 9. November 2025. Reflexion: Gesellschaft und Einsamkeit Berlin bricht alle Rekorde – nicht nur in der Kunst, auch in der Einsamkeit. Es gibt keine Stadt auf diesem Planeten, die mehr Einzelgänger auffängt, mehr Seelen im freien Fall in sich aufnimmt und in Bewegung hält. Menschen, die allein leben – nicht, weil es cool ist, sondern weil Berlin gar nicht anders kann. Das Fremde ist hier kein Hindernis, sondern das verbindende Element. Man weiß nichts übereinander, und genau daraus entsteht eine Energie: des Behauptens, des Kennenlernens, des Dominierens und des Zurücknehmens. Eine soziale Choreografie, in der Neugier, Macht und Ohnmacht in stetem Wechsel tanzen – wie auf Moraus Bühne. Ein urbaner Zustand, behagliche Hinterhof-Höhlen in der Hölle der Existenz – wach, verletzlich, offen. Nicht von ungefähr haben Mönche Äonen in ihren Höhlen verbracht und anschließend die Weisheit verkündet. Ich hörte einmal eine treffende Erklärung des Begriffs der Leerheit: „OM, ohne mich!“ das klingt ein bisschen zynisch, gell? Egal. „Im Geiste des Anfängers gibt es viele Möglichkeiten, im Geiste des Experten hingegen nur wenige.“ Dieses Zitat des Zen-Meisters Shunryu Suzuki Roshi aus seinem Buch Zen-Geist, Anfänger-Geist betont die Bedeutung einer offenen, neugierigen und nicht wertenden Haltung beim Herangehen an eine Praxis oder eine Fähigkeit. Es stellt das grenzenlose Potenzial des Anfängers dem eingeschränkten Blickwinkel dessen gegenüber, der glaubt, bereits alles zu wissen. Vielleicht ist genau das Berlins Zustand – ein kollektiver Beginner’s Mind: ein Ort des Dazwischen, des Noch-nicht-Gewussten, des Immer-wieder-Neu-Beginnens. In dieser Stadt bleibt nichts fixiert, nichts vollendet, nichts endgültig verstanden. Und vielleicht liegt darin ihr heimliches Heilmittel – gegen die Einsamkeit, gegen die Überforderung, gegen das Ende der Neugier. Literatur: Shunryu Suzuki: Zen-Geist, Anfänger-Geist. Unterweisungen in Zen-Meditation. Aus dem Amerikanischen von Heinz Seifert, Ro wohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1987 (Originalausgabe: Zen Mind, Beginner’s Mind, Weatherhill, New York/Tokyo 1970) Externer Link: https://www.staatsballett-berlin. de Fotos: Staatsballett Berlin, Pressefotos
von Hans Pfleiderer 22. Mai 2025
In a quiet corner of Bretagne, beneath the heavy skies and between the winding, time-worn streets of Morlaix, a house stands not merely restored but reimagined. This is no ordinary town house. It is a gyre—a vortex of energy, music, conversation, and change. And at its center stands Antony Hequet, a man whose presence is as arresting as his purpose. Antony is the rare kind of individual who defies neat labels. A French-American with the worldly grace of one who has lived deeply, he is at once musician, entrepreneur, activist, philosopher, and something perhaps more elemental—a shamanic figure in modern clothes, channeling ancient insight through a digital age.
von Hans Pfleiderer 17. Mai 2025
Über Viktor Jerofejews Artikel „Sind Sie auch manchmal ein Pferd?“ in DIE ZEIT No. 20 vom 15. Mai 2025 in der Rubrik FEUILLETON Literatur – unter Einbeziehung der Erinnerung an meinen Großvater Hans Gustav Hellenbach Erstens: Das Pferd als Spiegel der Würde Jerofejew beginnt mit der bekannten Pose Wladimir Putins auf einem Pferd – ein Bild der Macht, virilen Stärke und imperialen Pose. Doch dieser öffentliche Heroismus verliert an Glaubwürdigkeit, wenn man ihn vergleicht mit jener stillen, inneren Haltung, wie sie mein Großvater Hans Gustav Hellenbach verkörperte. Hoch zu Ross, in voller Haltung, trug er den Stolz einer untergehenden Klasse durch die Wirren Europas – nicht zur Schau, sondern als Pflicht gegenüber einem inneren Ethos. Er ritt nicht, um zu herrschen, sondern um in Harmonie mit dem Tier das Menschliche zu ehren, das er bald im Dritten Reich nicht mehr erkennen konnte. In seinem Suizid im Mai 1940 in Danzig äußerte sich kein Pathos, sondern ein stilles, erschüttertes Nein zur Entmenschlichung, die um sich griff – auch im besetzten Polen. Zweitens: Pferde als Seismographen des Menschlichen Jerofejew entfaltet in seinem Essay eine literarische Geschichte des Pferdes als moralisches Wesen. In Dostojewskis Albtraum-Metapher wird das geschundene Pferd zum Symbol für den letzten Rest Mitgefühl im Menschen, den selbst der Mörder Raskolnikow nicht abtöten kann. Tolstois „Leinwandmesser“ oder Majakowskis „Gute Behandlung der Pferde“ zeigen: Das Pferd steht für Würde, für Zärtlichkeit, für das, was im Menschen oft unterdrückt wird. Auch mein Großvater wusste das: Er sprach von seinem Wallach Arktur als von einem „kameradschaftlichen Wesen, das mit Blicken spricht“. In einer Zeit, in der Menschen zu Bestien wurden, erkannte er im Tier das letzte humane Gegenüber – ein Erkennen, das ihn wohl auch zur Verzweiflung trieb. Drittens: Eine melancholische Reitergesellschaft Die kulturelle Entfremdung vom Pferd, so Jerofejew, ist auch eine Entfremdung vom Menschlichen. Die industrielle Moderne hat den Reiter vom Tier getrennt, so wie sie den Menschen von seiner Empathie entfremdete. Doch es gibt literarische wie persönliche Rettungsversuche: Jerofejews eigenes Erlebnis mit seinem Pferd Indus auf der Krim endet zwar mit einem Sturz, doch nicht mit Enttäuschung – vielmehr mit stillem Respekt für ein Wesen, das eigene Wege geht. Mein Großvater, in seiner aristokratischen Lebensweise ein Anachronismus, lebte diese Verbindung bis zuletzt. Vielleicht erkannte er – im Moment seines Abschieds – dass man nicht in einer Welt leben kann, in der man den Menschen nicht mehr lieben darf, das Pferd aber umso mehr. So wurde er selbst ein „wenig Pferd“, wie Majakowski schreibt – einer, der lieber aufrecht fiel, als unterwürfig zu leben. H.P. Hör zu, ich verlange eine Reaktion auf meine Worte, warum sollte ich sonst meine Gedanken mitteilen, verdammt!
von Hans Pfleiderer 14. April 2025
Ein kritischer Essay über Michail Chodorkowskis „Wie man einen Drachen tötet: Handbuch für angehende Revolutionäre"
von Hans Pfleiderer 10. April 2025
The novel The Great Gopnik (Большой Гопник) by Viktor Yerofeyev is a biting satire that describes the influence of the Gopnik-spirit on Russian society: From the streets to the Kremlin, a mentality of ruthlessness, opportunism and strength at all costs reigns. Chapter 1: Introduction In this book, Viktor Jerofejew describes a dark and satirical vision of today's Russia. The title refers to the figure of the "gopnik", a common stereotype in Russia of a petty criminal, usually an unemployed and violent young man from the lower classes, often in tracksuits and with a penchant for brute force. Yerofeyev means an exaggerated, almost mythical version of this type - an embodiment of brutal power that extends to the highest political and social levels. It is a metaphor for the current Russian state leadership, which rules through authoritarian methods, intimidation, corruption and violence. Some interpretations see this figure as an allusion to President Vladimir Putin and Russia's political system, which is increasingly permeated by mob-style structures. It tells of Putin's unstoppable rise to the top of the state and presents him as the embodiment of this species of rowdy, who sees the Russian empire as a kind of fairytale world that needs to be saved from the influences of Europe and America. At the same time, the author himself acts as his antagonist and offers a literary explanation for current events in Russia. The novel is divided into short chapters, that alternate between different perspectives, time frames and layers of meaning. This structure reflects the complexity and chaos of Russian reality. A reoccurring hint the size of a billboard is the date of February 24, 2022, the day of the Russian attack on Ukraine, runs like a thread through the book and is reflected in italicized passages that express the author's thoughts and feelings. Overall, the book offers an in-depth analysis of Russian society and its political leadership, wrapped up in a literary work that combines elements of autobiography, essay and fiction, a masterful and compelling novel that explores the human and systemic drama of today’s Russia, set against a backdrop of chaos, transformation, and deep societal unrest. Chapter 2: The Joycean attempt riffing on unfamiliar words Moscow under a sky like wet fabric over dull gold Ivan Tsarevich steps through glass into a city that has forgotten him or knows him too well no music only machines breath of metal shadows await the air as heavy as oil his heart beats out of sync with the times no star only neon that never blinks cold fingers grasp rules bend through corridors without doors faces mute voices hollow the Great Gopnik towers over maps without people only borders only blood Ashes fall like snow, tanks roll by, a woman stands with a child, breath freezes, hunger does not, Alexei falls, the film continues, the hero becomes a number, is forgotten, men freeze in cells without light, their breath paints shadows in a system that knows no people, only guilt. Then, much later, the news out of nowhere: Alexei Navalny is dead, they say, but the name lives on in whispers. Ivan rides through forests, through nights, through a Russia that may awaken or may never! And so the fairy tale ends The great Gopnik sits on bones In front of him, maps without people Only borders, ice, blood Smoke rises like snow While houses burn Streets empty A woman with a child Breath frozen, hunger hot A power plant falls Sparks extinguish Snow on the ruins and dead Alexei falls Uniforms await The hero becomes a number, is forgotten Men freeze in cells Their bodies only guilt in the system Later the news hits Alexei Navalny is dead they say But what is death When the name continues to whisper Chapter 3: Literary influences The grotesque legacy of Russian literature rumbles in Viktor Yerofeyev's work. He is a literary master blaster. His novels and essays unfold like an abysmal carnival festival in which violence, madness and sarcasm collide. But his work does not exist in a vacuum - it is deeply rooted in Russian and European literary history. Six great writers have influenced his style, and in each of their characters there is an echo of Yerofeyev's over-the-top narrative style. Yerofeyev combines these influences to create an independent style that oscillates between satire, philosophy and radical provocation. Viktor Yerofeyev stands in the tradition of the Russian literary avant-garde and absurd realism. His most important role models and influences are: a. The devil as playmaker: Mikhail Bulgakov, especially The Master and Margarita with its mixture of satire, fantasy and social criticism, influenced Yerofeev's style. The grotesque depiction of Soviet reality and the playful use of the absurd can also be found in Yerofeyev's work. Hardly any other author has woven the grotesque into Russian literature as artfully as Mikhail Bulgakov. In The Master and Margarita, the devil Voland and his demonic troupe create chaos in Moscow and expose the hypocrisy of Soviet society. Yerofeyev follows this model when he stages the Russian present as a grotesque circus in The Great Gopnik, in which power and anarchy become blurred. His characters are often diabolical figures who destroy the system with sadistic relish - not unlike Woland's henchman, the talking cat Behemoth, who shoots guns and cracks jokes about hell. b. The madness of everyday life: Daniil Charms, the Russian avant-gardist and founder of absurd realism, had a great influence on Yerofeyev. His short, often surreal texts full of violence, humor and nihilism are reflected in Yerofeyev's fragmentary, often grotesque narrative style. The master of the literary absurd has created a world in which people simply disappear, dissolve or fall from windows - not for dramaturgical reasons, but because the logic of reality is suspended. His short text A Certain Old Man tells the story of an old man who falls over and dies without warning - just like that. Yerofeyev uses this principle of sudden, senseless violence in many scenes in his work. In The Great Gopnik, a minor character is killed in mid-sentence as if he were an annoying fly - life in Russia is random, brutal and without compassion. c. Man's lost souls: Nikolai Gogol is known for his satirical exaggeration of characters and the absurd depiction of bureaucracy and power structures. No one has exposed the absurd bureaucracy of Tsarist Russia as farcical as Nikolai Gogol. In The Nose, a civil servant wakes up to find that his own nose has disappeared - and even worse: it is on the loose in St. Petersburg and is making a career for itself. The grotesque powerlessness of man in the face of an opaque system is a theme that Yerofeyev continues to explore. His characters do not fight against ghosts or demons, but against a Russian reality that is just as unpredictable and mocking as Gogol's overdrawn bureaucrats. d. The cabinet of Fyodor Dostoyevsky: The psychological depth and existential struggle with morality, guilt and chaos in works such as The Idiot and The Demons in particular influenced Yerofeyev's dark, philosophical reflections on his torn Russian soul. If there is a literary tradition that illuminates the inner abyss of man, it is that of Fyodor Dostoyevsky. In The Demons, a revolutionary murder becomes a farce because the perpetrators themselves do not know whether they are fighting for what is right or simply murdering. Yerofeyev continues this tradition by creating characters who teeter between megalomania and nihilism. In The Great Gopnik, a small-time crook suddenly becomes a politician - not because he is convinced or interested in power, but because circumstances drive him into this role. Like Dostoyevsky's Kirillov, who wants to kill himself to prove his absolute freedom, Yerofeyev's hero stumbles from one existential catastrophe to the next. e. Venedikt Yerofeyev and the Art of Drinking as Philosophy: One author with whom he is often confused is Venedikt Yerofeyev, who in the cult novel Moscow - Petushki lets a drunken, melancholy narrator stagger through the Soviet provinces. With his alcohol-soaked, poetic and tragicomic prose, this author left behind a legacy, a literary image of Soviet and post-Soviet neglect, which is also in streaks present in The Great Gopnik. His hero philosophizes about love, power and alcohol while getting drunk on spirits. Viktor Jerofejew's protagonists are very often alcoholics, but in his case the drunkenness turns into sheer violence. Where Venedikt Jerofejew still finds a tragicomic poetry, Viktor Jerofejew depicts a dehumanized world in which drinking is no longer rebellion, but merely survival. f. Franz Kafka and Jean-Paul Sartre: The absurdity of existence and the feeling of existential forlornness—central to the works of Kafka and Sartre—resonate in Yerofeyev’s portrayal of Russian society as a theater of the absurd. His Gopnik staggers through a meaningless system, fueled by vodka, poetry, and philosophical despair. Sartre’s famous line, “L’enfer, c’est les autres” (“Hell is other people”), from his play No Exit (Huis clos, 1944), captures the existential torment of being defined by the gaze of others. We are “prisoners” and our identities shaped and judged externally, which can become a form of psychological torture. Kafka anticipated similar ideas exploring how anonymous, inscrutable systems oppress the individual. In The Trial, Josef K. is condemned without knowing why—a symbol of how external forces, whether social or bureaucratic, strip away autonomy. To conclude, Viktor Yerofeyev's The Great Gopnik is characterized by a provocative, satirical and absurd writing style. His narrative is often fragmentary, exaggerated and full of grotesque exaggerations. He uses a laconic yet poetic language that oscillates between vulgar directness and philosophical reflection. He plays with excesses, crude comedy and surreal images to expose social and political grievances in Russia. He works with a mixture of black humor, existential despair and a certain playful resignation. His style is reminiscent of a mixture of Russian underground, postmodern satire and absurdist theater. His way of depicting Russian reality as a kind of grotesque carnival in which violence, power and chaos condense into an absurd farce is particularly striking. His work is a mirror in which not only Russia, but the entire modern world recognizes itself in its absurdity - and perhaps even laughs, albeit bitterly.
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